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Herausforderung und neue Möglichkeiten für die Paarbeziehung

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Die Diagnose (Brust-)Krebs bringt viele Unsicherheiten und Ängste mit sich und ist für die Paarbeziehung eine Herausforderung. Michaela Jurda-Nosko, ist Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Psychoonkologie und Psychotraumatologie.

Mag. a Michaela Jurda-Nosko, MSc

Mag. a Michaela Jurda-Nosko, MSc

Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Psychoonkologie und Psychotraumatologie
ÖVS Supervisorin und Coach

Frau Jurda-Nosko, wie verändert eine Brustkrebserkrankung die Beziehung eines Paares?

Eine Krebserkrankung ist mit existenziellen Ängsten, mit Unsicherheiten, Hilflosigkeit und einem Vertrauensverlust verbunden. Plötzlich ist nichts mehr, wie es einmal war, man findet sich in einer lebensbedrohlichen Situation wieder. Für die Paarbeziehung bedeutet das eine immense Herausforderung. Bei Brustkrebs kommt hinzu, dass die Krankheit einen massiven Einschnitt in die Weiblichkeit der Frau bedeutet: Ihr Körperbild verändert sich, das Selbstvertrauen schwindet, sie fühlt sich möglicherweise nicht mehr attraktiv und hat Angst, ihrem Partner nicht zu gefallen. Gleichzeitig hat die Betroffene vielleicht Schmerzen, leidet unter Müdigkeit und den Nebenwirkungen der Therapien.

Nicht nur die Frau leidet, sondern auch der Partner: Bei bis zu 40 Prozent der Männer finden sich affektive Beschwerden wie vermehrte Angst und Depressivität. Was belastet die Partner am meisten?

Für die betroffenen Männer ist es eine anspruchsvolle und belastende Situation: Da ist einerseits die große Angst um die erkrankte Partnerin, andererseits sind sie als wichtigste emotionale und auch praktische Stütze gefordert. Zugleich bestehen Unsicherheiten etwa darin, wie weit körperliche Nähe noch möglich ist. Denn oftmals zieht sich die Frau aus dem sexuellen Leben zurück, es fällt ihr schwer, Nähe und Zärtlichkeit zuzulassen. Viele Frauen empfinden Scham, insbesondere wenn eine Mastektomie (Verlust der Brust) stattgefunden hat. Dabei sind die Akzeptanzschwierigkeiten bezüglich der Körperbildveränderung viel mehr bei der betroffenen Frau selbst und weniger bei ihrem Partner vorhanden. Ebenso können auch die Nebenwirkungen der Therapien das sexuelle Verlangen reduzieren.

Wie kann Intimität dennoch gelebt werden?

Intimität beinhaltet viel mehr als körperliche Nähe. Dazu gehören etwa emotionale Aspekte wie Wertschätzung, ein respektvoller Umgang miteinander, Nähe, Vertrauen und Zuneigung.

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Bei einer Studie des Universitätsspitals Zürich (Schweiz) gaben 75 Prozent der Paare an, dass die Krankheit die Beziehung verändert hat – über die Hälfte wertete den Einfluss als positiv im Sinne von vermehrter Tiefe und Nähe. Wie kann das Miteinander in dieser schwierigen Situation gelingen?

Zentral ist eine offene Kommunikation. Indem man dem Partner seine Sorgen, Ängste und Befürchtungen mitteilt, wird eine wertvolle Vertrauensbasis für die Partnerschaft geschaffen. Dazu gehört auch der Austausch darüber, welche Bedürfnisse vorhanden sind und was für sexuelle Wünsche und Möglichkeiten die Partnerin hat. Es hilft zudem, wenn der Partner auch in den gesamten Therapieprozess miteinbezogen wird und bei den Arztgesprächen dabei ist. Auch kann eine Paartherapie helfen, um Unausgesprochenes und belastende Fragen zu thematisieren.

Manchmal verlieren sich die Betroffenen als Paar im belastenden Krankheitsprozess und merken erst, wenn das Schlimmste überstanden ist, wie sehr die Beziehung gelitten hat. Wie viele Beziehungen zerbrechen an einer Brustkrebserkrankung?

Das kann man pauschal nicht sagen. Es zeigt sich aber, dass Beziehungen, die während der Krankheit zerbrechen, oft schon vorher in einer Krise steckten. Zugleich erlebe ich viele Paare, die die Krankheit noch mehr zusammengeschweißt und deren Beziehung an Tiefe gewonnen hat.

Wann ist der „richtige“ Zeitpunkt, einem neuen Partner von der Erkrankung zu erzählen?

Das ist sehr individuell und jede Frau spürt intuitiv (nach dem eigenen Bedürfnis), wann der passende Zeitpunkt da ist. Prinzipiell gilt, dass man sich nicht zurückziehen, sondern mitteilen und darüber sprechen soll, welcher Umgang erwünscht ist.

Mit Therapieabschluss beginnt für die betroffene Frau zumeist der eigentliche Verarbeitungsprozess. Wie wird dieser durchlebt?

Nach der Therapie muss die Frau sukzessive lernen, mit ihrem neuen Ich zu leben, dieses zu akzeptieren, und auch lernen, sich selbst wieder zu lieben. Das ist sicherlich kein leichter Prozess, der aber eine Menge Potenzial bietet. Viele Frauen werden sich in dieser Phase bewusst, was ihnen guttut, wie sie ihre Kräfte aktivieren und ihre Resilienz steigern können.

Expertentipps für betroffene Paare

Therapeutische Gruppe besuchen:
Den Schock und Verlust mit anderen betroffenen Frauen zu teilen, hilft, eigene Gefühle und Einstellungen zu normalisieren und die Weiblichkeit zu stärken.

Neues Körperbild integrieren:
Körperliche Veränderungen, Einschränkungen, das Gefühl der Verwundung – es ist wichtig, sich Zeit dafür zu nehmen, um sein Selbstbild zu erneuern, neue Qualitäten zu finden, Prioritäten neu zu setzen, neue Lebensziele zu definieren und ein neues (tieferes) Selbstwertgefühl schrittweise aufzubauen.

Ängste und andere Gefühle (Schuld, Scham, Wut, Trauer) bearbeiten:
Die Vermeidung des Themas Angst, Tod, Sterben führt zu Druck für die Betroffenen. Oftmals haben Angehörige selbst Angst vor dem Verlust der erkrankten Person und vermeiden das Thema. Kommunikation über Gefühle ist jedoch heilsam, fördert die Krankheitsverarbeitung und reduziert Stress.

Zurück ins Leben:
Wichtige Maßnahmen hierfür sind der Weg aus Einsamkeit und Isolation, der Aufbau von neuen Beziehungen, den Kontrollverlust zu reflektieren und neue Kontrolle zu gewinnen.

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